Diese Woche fuhr ich am späten Nachmittag mit unserem Auto in die Waschanlage in Zülpich. Da Zülpich nicht besonders groß ist, haben wir nur eine einfache Waschanlage, in die man mit seinem Auto hinein fährt, stehen bleibt und dann bewegt sich die Waschanlage über dem Auto hin und her und macht es sauber (in den meisten Fällen jedenfalls :-) ).
Ich sitze also in meinem Auto und beobachte gedankenverloren, was da so vor sich geht. Die riesigen Textil-Bürsten nähern sich drehend der vorderen Stoßstange, werden angehoben, fahren auf der richtigen Höhe über die Motorhaube, um dann kurz vor der Windschutzscheibe erneut weiter nach oben zu fahren. Oben am Dach angekommen halten Sie den richtigen Abstand zum Dach, fahren bis zum Ende des Autos, um sich dann senkrecht am Heck herunter zu bewegen. Du kennst das...
Die Waschanlage erkennt die Konturen meines Wagens und passt sich diesen so an, dass das Auto mit seinen besonderen Formen sauber wird und so seinen vollen Glanz entfaltet ohne dabei Schaden zu nehmen.
Was für eine wunderbare Analogie zu einer der wesentlichen Kernkompetenzen eines Führungskünstlers, schießt es mir in dem Moment durch den Kopf:
Der führungskünstler sieht und erkennt sein Gegenüber und passt seine Sprache und sein Handeln entsprechend an.
Als Führungskraft bist Du verantwortlich für eine Vielzahl von Menschen, die alle ihre individuellen Fähigkeiten, Vorlieben und Interessen haben. Die Summe dieser unterschiedlichen Begabungen macht Dein Team extrem wertvoll und schlagkräftig.
Allerdings nur, wenn es Dir gelingt, diesen Schatz zu heben. Das ist Deine Aufgabe und wenn Dir das gelingt, machst Du als Führungskraft einen entscheidenden Schritt hin zur Führungskunst.
Der Schlüssel zu diesem Schatz liegt in den menschlichen Beziehungsbedürfnissen. Eines davon ist das Bedürfnis, sich wertgeschätzt, bestätigt und bedeutsam zu fühlen. Wenn ich als Mitarbeiter erlebe,
- dass mein Chef meinen Wert schätzt, weil er mir z.B. Feedback zu meiner Arbeit gibt,
- dass mein Chef mir in gemeinsamen Begegnungen zeigt, dass er mich sieht und mich in meiner Einzigartigkeit erkennt und annimmt, also meine Individualität bestätigt und
- dass ich bedeutsam für meinen Chef bin, weil er mich um meine Meinung oder einen Rat fragt,
dann gehe ich eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm ein, die uns durch viele Stürme tragen wird. Weil ich erlebe, dass mein Chef mich sieht und erkennt.
Wie sieht das in der Praxis aus? Hier ein paar Beispiele aus meinem langjährigen Führungsalltag:
- Michaela ist seit vielen Jahren in der Firma, verfügt über entsprechende Erfahrung und ist recht flink im Kopf. Sie ist sehr strukturiert und organisiert, kommt schnell zur Sache und erwartet klare Antworten auf Fragen. Smalltalk ist nicht ihres. -> Und genauso kommuniziere ich mit ihr. Unsere Besprechungen sind meistens recht kurz und geprägt von Sachlichkeit. Wenn Sie mich um Rat fragt, dann weiß ich, dass sie selber alles versucht hat und nun wirklich meine Hilfe benötigt.
- Sandra, ebenfalls sehr erfahren, liebt Geselligkeit und erzählt von ihren Kindern, ist gefühlsbetont und setzt sich gerne für andere ein. Als ich mich einmal 'einfach' so bei ihr melde und mich nach ihr und ihren Kindern erkundige, ist sie sehr gerührt und dankbar.
- Jochen liebt Details und zu seinem Job gehört es, Dinge bis ins Letzte zu durchdringen. Dafür wurde er eingestellt. Deshalb gehen Gespräche und Diskussionen mit ihm sehr schnell in die Tiefe eines einzelnen Themas. In den sehr intensiven Gesprächen mit ihm, die in der Regel länger dauern, zeige ich ihm durch viele Fragen, dass ich seinen Gedankengängen folge und seine Detailarbeit sehr schätze.
Aber Moment! Wedelt da nicht der Schwanz mit dem Hund? Wer führt denn da wen?
Als 'alter Hase' denkst Du Dir vielleicht gerade genau das: Wie kann es sein, dass ich mich als Führungskraft nach meinen Mitarbeitern richten muss? Das muss doch umgekehrt sein...
Tja... Und genau das unterscheidet die Führungskunst von anderen Führungsansätzen:
Durch die grundsätzliche Anerkennung und Wertschätzung deines Gegenübers baust Du Vertrauen auf und bereitest so als Führungskraft den Boden für die persönliche Entwicklung Deiner Mitarbeiter. Denn die ist ohne Zweifel bei jedem möglich und wünschenswert.
Michaela z.B. wird durch ihre rein sachliche Art von manchen Kollegen als sehr unnahbar und kalt erlebt und eckt deshalb häufig an. Sandra hat Schwierigkeiten, strukturiert und konzentriert an einer Sache dran zu bleiben und Jochen muss lernen, bei Diskussionen in größerer Runde eher das große Bild zu zeichnen, um die Beteiligten nicht zu verlieren.
Mit allen Dreien kann ich offen und zielgerichtet über ihre Entwicklungsfelder sprechen. Sie beginnen, ihre Persönlichkeit um diese Felder zu erweitern. Denn alle haben erfahren, dass ich sie als Person mit ihren Facetten schätze und annehme und 'ihnen nichts will'.
Und was ist, wenn der Mitarbeiter sich einer solchen Entwicklung verweigert?
Dann, um bei der Analogie dieses Artikels zu bleiben, ist in den meisten Fällen der Zeitpunkt gekommen, dass Auto und Waschanlage nicht (mehr) zusammenpassen. Denn, wenn beide zu häufig anecken und der Lack dauerhaft Kratzer abbekommt, dann ist eine Zusammenarbeit für die Beteiligten nicht mehr angenehm und sinnvoll. Das registriert und schwächt auch das Team. Dann ist es Zeit, sich von dem Mitarbeiter zu trennen.
Also: Solltest Du demnächst mal wieder mit Deinem Auto in eine Waschanlage fahren, dann frage Dich ruhig, ob Du Deine Mitarbeiter in all ihren Facetten kennst und Dich in den täglichen Begegnungen auf sie einstellst. Zeigst Du Ihnen durch Deine Kommunikation und Dein Handeln, dass Du sie siehst und erkennst? Und welche individuellen Entwicklungsmöglichkeiten ergeben sich für Dich daraus bei jedem einzelnen Deiner Mitarbeiter?
Ich wünsche Dir dabei viel Erfolg.
Und merke: "Führungskunst heißt, eine Welt zu schaffen, der andere zugehören wollen."
In diesem Sinne,
Dein Ralph Heymann
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Anne (Sonntag, 26 April 2020 22:02)
Hallo Ralph,
schön beschrieben, gut erkannt, perfekt durchgeführt. Macht Freude, das Prinzip auf alle Lebensbereich hin zu durchdenken! Außerdem macht es Spaß, Deine auch optisch ansprechenden Newsletter von A-Z durchzulesen.
Lieben Gruß, Anne
Ralph Heymann (Montag, 27 April 2020 11:49)
Liebe Anne,
vielen Dank für Dein wundervolles Feedback.
Bleib gesund, Ralph